Orientierung im Abstimmungs-Durcheinander

Wer Mühe hat, in der aktuellen städtischen Abstimmung zur Initiative «Wohnen für alle» den Überblick zu behalten, ist damit wohl nicht allein. Schliesslich stimmen wir neben der SP-Volksinitiative «Wohnen für alle» gleich über zwei Gegenvorschläge ab, die sich auf den ersten Blick ziemlich ähnlich sehen. Der Teufel steckt hier aber im Detail – die SP empfiehlt 2xJA und 1xNEIN.

Abstimmungsempfehlung kompakt:

4A: Städtische Volksinitiative «Wohnen für alle»: JA

4B: Gegenvorschlag des Stadtparlaments: NEIN

4C: Gegenvorschlag des Stadtrats: JA

4D, Stichfrage 1: Volksinitiative > Vorlage 4A

4E, Stichfrage 2: Volksinitiative > Vorlage 4A

4F, Stichfrage 3: Gegenvorschlag Stadtrat > 4C

In Winterthur wurde es in den vergangenen Jahren für viele Menschen immer schwieriger bis unmöglich, eine passende und bezahlbare Wohnung zu finden. Die Leerwohnungsziffer ist auf einem Rekordtief. Für viele Menschen ist es eine Herausforderung, die Miete bezahlen zu können. Doch Wohnen ist kein Luxusgut, sondern ein Grundrecht. Unsere SP-Volksinitiative «Wohnen für alle» fordert deshalb mehr bezahlbaren Wohnraum für Winterthur.

 

Dafür soll der Anteil gemeinnütziger Wohnungen schrittweise von heute ca. 12% auf 25% im Jahr 2040 erhöht werden. Die Stadt hat verschiedene Hebel, um gemeinnützige Wohnungen zu fördern: indem sie den gemeinnützigen Wohnungsbau in ihren Planungsinstrumenten verankert, indem sie Bauland im Baurecht an gemeinnützige Bauträger abgibt oder indem sie bei Gestaltungsplänen Mindestanteile von gemeinnützigen Wohnungen vereinbart.

Gemeinnützige Wohnungen sind übrigens nicht das Gleiche wie subventionierte Wohnungen. Gemeinnützige Wohnbauträger sind private KMU, die selbsttragend wirtschaften und sich freiwillig zu fairen Mieten verpflichten.

 

Um nachhaltig faire Mieten in Winterthur zu sichern, ist die Gemeinnützigkeit der Bauträger aus drei Gründen zentral: Erstens sind die Häuser von gemeinnützigen Wohnbauträgern unverkäuflich – das heisst, sie werden langfristig der Spekulation entzogen. Zweitens werden die Wohnungen gut unterhalten und es wird auf eine gute soziale Durchmischung geachtet – das heisst, die Wohnqualität ist überdurchschnittlich. Drittens werden mit den Wohnungen keine Renditen erzielt – das heisst, die Mieten sind langfristig im Schnitt 20% tiefer. Ein JA zur Initiative ist deshalb auch ein JA zu nachhaltig fairen Mieten in Winterthur.

 

Der Gegenvorschlag des Stadtrats verfolgt grundsätzlich die gleiche Stossrichtung wie unsere Initiative. Auch mit dieser Version würden gemeinnützige Wohnbauträger gefördert, allerdings wäre das Ziel deutlich tiefer gesteckt. Gemäss Stadtrat sollen pro Jahr 120 zusätzliche gemeinnützige Wohnungen entstehen, was etwa der jetzigen Entwicklung entspricht. Der Gegenvorschlag würde also nur den Status quo weiterführen. Die SP hält diesen Weg für zu wenig mutig. Allerdings begrüssen wir, dass auch der Stadtrat den Wert von gemeinnützigen Wohnungen anerkennt. Wir empfehlen deshalb auch ein JA zum Gegenvorschlag des Stadtrats, im Stichentscheid geben wir aber der Initiative den Vorzug.

 

Und jetzt wird es so richtig kompliziert: Das Stadtparlament hat zusätzlich noch einen eigenen Gegenvorschlag ausgearbeitet. Auf den ersten Blick erscheint dieser als Mittelweg zwischen der Initiative und dem stadträtlichen Gegenvorschlag, weil er 150 zusätzliche Wohnungen pro Jahr vorsieht. Doch hier steckt eben der Teufel im Detail: Das Stadtparlament hat das Etikett «gemeinnützig» durch «preisgünstig» ersetzt. Doch mit dem Label «preisgünstig» sichern wir nachhaltig keine einzige faire Miete. Denn damit wird kein Renditeverzicht gefordert, deshalb können die Mieten genau gleich steigen wie auf dem übrigen freien Markt. Ausserdem wird die Immobilienspekulation nicht verhindert, weil die Häuser nicht unverkäuflich sind. Im schlimmsten Fall führt das Etikett «preisgünstig» also dazu, dass wir unbeabsichtigt qualitativ schlechten, überteuerten Wohnraum fördern. Das Etikett «preisgünstig» ist also nicht mehr als ein Etikettenschwindel. Übrigens ist nicht einmal das Stadtparlament selbst überzeugt von dieser Vorlage: Es empfiehlt seinen eigenen Gegenvorschlag zur Ablehnung. Wir empfehlen deshalb ein NEIN zum Gegenvorschlag des Stadtparlaments.